Gestern rief mich eine Frau an, die offenbar Probleme mit ihrem Federvieh hatte.
„Was kann man bei einem angriffslustigen Hahn machen? Können Sie mir da vielleicht helfen?“
Ihre Stimme klang verzagt.
„Was macht er denn genau? Springt er Sie an und hackt mit seinen Sporen los?“
„Ja, genau. Das macht er, sobald er mich oder irgendwen anderes sieht.“
„Laufen die Hühner frei auf dem Hof herum?“, fragte ich weiter.
„Nein, die haben ein eigenes großes Gehege. Aber wenn ich die Eier holen will oder Futter bringe, springt er mich gleich an! Ich habe richtig Angst vor ihm ...“
„Und wenn sie einfach die Klappe nach außen zu machen, wenn der Hahn nicht drin ist?“
„Nein, das will mein Mann nicht.“
„Tja, da kann ich Ihnen nur eines raten: braten und aufessen.“ Die Frau schnappte hörbar nach Luft: „Auf gar keinen Fall! Was bilden Sie sich eigentlich ein?“.
„Ich meinte doch den Hahn, nicht Ihren Mann!“ Peng! Sie hatte aufgelegt. Und mir fiel der schöne weiße Hahn vom Leibelbacher Reiterhof wieder ein:
Dort hatte ich meinen Lipizzaner Tiger untergestellt. Jeden Tag fuhr ich gleich nach der Arbeit hinaus, um mich um meinen Temperamentsbolzen zu kümmern.
Zum Inventar des Hofes gehörte außer den Pferden noch ein stattlicher weißer Hahn mit seiner Hühnerschar. Der schöne Hahn hatte es mir angetan. Ich freute mich immer, wenn er mit seinen „Damen“ aufkreuzte. Die Hühner rannten mir immer gackernd entgegen, weil ich ständig Brotkrümel in den Hosentaschen hatte. Die bekamen die Hühner. Bald pickten sie mir die Brösel aus der Hand und folgten mir auf Schritt und Tritt.
An einem sonnigen Samstag Nachmittag kam ich früh zum Stall, ich wollte einen längeren Ausritt machen.
Oje! Die anderen Reiterinnen anscheinend auch, der ganze Parkplatz war proppenvoll. Na, das konnte ja „heiter“ werden. Die anderen Reitdamen waren nicht so gut auf Tiger zu sprechen, sie hatten sogar Angst vor ihm. Wie das?
Tiger kann nämlich Zigarettenqualm nicht ausstehen und wird ziemlich eklig, wenn er den Rauch in die Nüstern bekommt. Und hier rauchten alle – außer mir. Es gehört anscheinend zum „guten Ton“, mit einem „Stinkstängel“ zwischen den Lippen das Pferd zu putzen.
Aber ― was war denn das? Überall standen halb geputzte oder schon gesattelte Pferde angebunden, aufgeklappte und ausgekippte Putzkisten wie bunte Farbtupfer in der Gegend verstreut ...
Und kein Mensch weit und breit! Es sah aus, wie nach einer überstürzten Flucht. Nur seltsam, dass die Pferde so ruhig waren. Auch der weiße Hahn stolzierte in aller Seelenruhe über den Hof. Also konnte hier draußen kaum etwas Schlimmes passiert sein.
Aber wo waren die Reiterinnen hin verschwunden? Auf dem Klo konnten sie nicht alle sein, da gab es nur eine einzige Kabine.
Aha! Da, hinter den Fenstern des Reiterstübchens waren ja lauter schreckensbleiche Gesichter. Aber warum machten mir die Damen so hektische Zeichen und deuteten hinter mich? Ich konnte mir keinen Reim auf die Sache machen. Da war doch nur der Hahn, der schon auf seine Brotkrümel wartete.
Endlich erfuhr ich des Rätsels Lösung. Astrid, die Reitlehrerin, trat vor die Tür, ängstlich den Hof im Auge behaltend.
„Schnell! Komm besser rein! Da draußen läuft ...schraaaahh!“
Der Hahn, hatte sie wohl sagen wollen. Der aber zwängte sich zwischen meinen Knien hindurch und sprang Astrid mit seinen sporenbewehrten Füßen an!
Das war zu viel! Ich musste so schrecklich lachen, dass mir die mitgebrachte Brottüte aus der Hand fiel und ich mich heftig verschluckte. Der Hahn kam neugierig näher und pickte erwartungsvoll an meiner Tüte.
Wie konnte ein einzelner Hahn eine ganze Menschenherde in die Flucht jagen?
Immer wenn ich später nach Leibelbach kam, hielt ich Ausschau nach dem Hahn. Wenn der mit mir anmarschierte, hatte ich immer einen Platz, um Tiger zu putzen.
Der Hahn in Leibelbach schaute aus wie der Hahn im Video, das elfensommer hochgeladen hat: